Fenster in die Geschichte

Auch der Lern- und Gedenkort Jawne ist davon betroffen, dass die mit dem historischen Ort verbundenen Menschen uns langsam verlassen oder aufgrund ihres hohen Alters und ihrer gesundheitlichen Verfassung nicht mehr dazu in der Lage sind uns zu besuchen.

Um auch zukünftig die Geschichte des jüdischen Zentrums, das sich an der St.-Apern-Straße befand, lebendig dokumentieren zu können, werden wir neben den lebensgeschichtlichen Berichten und Interviews in besonderem Maße auf das materielle Erbe und die Dokumente der Zeitzeug:innen angewiesen sein.

Privatarchiv, Jona Hatsor
Privatarchiv, Jona Hatsor

Ihre Briefe, Postkarten, Tagebücher, Kunstwerke, Fotografien und Familiendokumente sind Fenster in die Geschichte, die (meistens) aus der Perspektive der Verfolgten und ihrer Nachkommen wichtige Informationen zur Atmosphäre und den Geschehnissen während des Nationalsozialismus, aber auch der Folgezeiten liefern. Dabei verlassen die Geschichten hinter den Dokumenten häufig die Enge des Schulgeländes der Jawne und erzählen andere Dinge:
Briefe von mit Kindertransporten geretteten Jugendlichen beschreiben die Umstände des neuen Lebens in England, Bildpostkarten von Überseedampfern sind Erinnerungsstücke an die Flucht aus Nazi-Deutschland, behördliche Schreiben informieren nüchtern und kühl vom Tod der Eltern in Auschwitz und Fotoalben versammeln Bilddokumente der Hoffnung und des Neuanfangs in London, New York City oder einem Kibbuz in Israel. Die Heterogenität der bisher zusammengetragenen Sammlung ist gleichzeitig ihre große Qualität.

Privatarchiv, Miriam Choresh

In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Kontakte zu überlebenden ehemaligen Schülerinnen und Schülern der Jawne in verschiedenen Ländern und auf verschiedenen Kontinenten geknüpft.
Im Rahmen von privaten Besuchen und der Vorbereitung von Ausstellungsprojekten wurden Interviews geführt; Fotoalben und andere persönliche Dokumente wurden zum Teil gesichtet und Fragmente daraus gefilmt oder fotografiert.
Eine systematische Erfassung, digitale Sicherung und Dokumentation dieser wertvollen Archivalien konnte bisher jedoch noch nicht geleistet werden.

Privatarchiv, Margot Plesser

Im Sommer 2019 hat die Arbeitsgruppe Dokumente in enger Zusammenarbeit mit in Israel lebenden ehemaligen Jawne-Schüler:innen und ihren Nachkommen ein neues Projekt gestartet:
Einzelne Privatarchive und Nachlässe konnten ausführlich gesichtet und unter professionellen Bedingungen in großen Teilen digitalisiert werden mit dem Ziel, die Materialien für die dokumentarische und pädagogische Arbeit des Lern- und Gedenkort Jawne nutzbar zu machen. Neben vielen anderen uns bisher nicht bekannten Dokumenten konnten in Form von Schulbüchern, Schulheften und Zeichnungen erstmalig auch unmittelbar mit dem Unterricht an der Jawne verbundene Materialien gefunden und dokumentiert werden.

Die Mitwirkung der ehemaligen Schüler:innen und ihrer Nachkommen spielte dabei eine sehr große Rolle. In manchen Fällen stellte sich heraus, dass Kinder und Enkel die zumeist deutschsprachigen Dokumente entweder noch gar nicht kannten oder sie einfach nicht verstanden und nicht einordnen konnten. Die Nachkommen der ehemaligen Schüler:innen der Jawne in die Sichtung und Sicherung der historischen Dokumente miteinzubeziehen, mit Übersetzungen und Erklärungen zur Verfügung zu stehen und sie bei Fragen der Lagerung und Zugänglichkeit zu beraten, wird zukünftig eine wichtige Aufgabe der Arbeitsgruppe sein.

Brief von Josef 1949
Privatarchiv, Jona Hatsor

Das Projekt wurde durch die COVID-19-Pandemie zunächst gestoppt, soll jedoch, sobald dies möglich sein wird, in Israel und den USA fortgesetzt werden.
Über die Entwicklungen des Projekts, Neuigkeiten im Zusammenhang mit konkreten Dokumenten sowie Präsentationen oder andere Formen der Veröffentlichung werden wir hier zukünftig informieren.