Die Brauns und die Grünebaums

Eine Ausstellung zur Geschichte der Städtischen Israelitischen Volksschule zu Köln

Die Ausstellung „Die Brauns und die Grünebaums“ erinnert an die Geschichte der „Städtischen Israelitischen Volksschule zu Köln“ in der Lützowstraße.
Inspiriert wurde sie durch die Lebensgeschichten von Walter Braun und Heinz Grünebaum, die Mitte der 1920er Jahre in Köln geboren wurden.

Walter Braun und Henry Gruen (vor seiner Emigration Heinz Grünebaum) waren seit frühester Kindheit Freunde. Ihre Väter waren Lehrer an der städtischen jüdischen Volksschule in der Lützowstraße, Dr. Siegfried Braun war zudem Redakteur mehrerer jüdischer Zeitungen.
Beide Jungen besuchten nach der Volksschule die Kölner Jawne, das einzige jüdische Gymnasium im Rheinland. Beide wurden mit einem Kindertransport 1939 nach Großbritannien gerettet.
Siegfried und Else Braun konnten nach Palästina, das spätere Israel, auswandern, wohin ihr Sohn Walter ihnen nach Kriegsende folgte. Walters älterer Bruder Gerhard gelang die Emigration nach Kenia; nach vielen weiteren Stationen lebte er zuletzt in Großbritannien.
Leopold und Thekla Grünebaum und Henrys kleine Schwester Inge wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert.
Henry Gruen ging in den Nachkriegsjahren in die USA und kehrte Anfang der 1970er Jahre ins Rheinland zurück. Seinen Freund Walter Braun besuchte er, solange er lebte, regelmäßig.
Walter Braun starb am 5. Juni 2013 im Alter von 89 Jahren in Israel.
Henry Gruen wurde 90 Jahre alt und starb am 14. November 2013 in seiner Geburtsstadt Köln.

Von den Anfängen bis 1933

Schulkinder vor dem Schuleingang an der Lützowstraße, 1920er Jahre. (Foto: Zvi Asaria, Die Juden in Köln, Köln 1959)
Erstes Schuljahr mit Lehrerin Hedwig Schloss, 1932

Die Städtische Israelitische Volksschule zu Köln war seit 1922 in der Lützowstraße 8 – 10 untergebracht und zählte zu den größten öffentlichen jüdischen Volksschulen in Deutschland. Obwohl das Gebäude mit seinen hellen Klassenräumen und einer geräumigen Turnhalle bereits 1914 von der Stadt Köln errichtet worden war, verzögerte sich der Einzug der Schule aufgrund des Ersten Weltkriegs.

Aus der Zusammenlegung von Mädchen- und Jungenschule im Jahr 1870 entstanden, erhielt die Volksschule 1881 den Status einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung. Bis 1939 unterstand sie der städtischen Verwaltung. Sie war somit eine städtische Schule, in der die Schüler nach staatlichen Lehrplänen unterrichtet wurden. Wesentliche Aufgabe blieb die jüdische Erziehung, die orthodoxen Juden allerdings zu liberal erschien.

Die Schülerschaft, größtenteils ostjüdisch und aus einfachen Verhältnissen stammend, wuchs über die Jahre immer weiter an. 1894 wurden 445 Kinder in der Schule unterrichtet. Anfang der 1930er Jahre waren es über 700 SchülerInnen. In der Regel besuchten die Kinder acht Jahre lang die Volksschule und verließen sie mit 14 Jahren.

Von 1933 bis zur Schließung

Nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht gekommen waren, wurde es jüdischen Kindern zunehmend erschwert, allgemeine Schulen zu besuchen. Zuflucht vor alltäglichen Diskriminierungen fanden sie in der Städtischen Israelitischen Volksschule, so dass sich die Zahl der Schüler in der Lützowstraße schnell vergrößerte. Wurden 1933 noch 702 Kinder unterrichtet, besuchten ein Jahr später schon 870 Schülerinnen und Schüler die Schule. Bis 1935 wuchs die Schülerschaft auf 950 Kinder an.

1938 musste die Volksschule das Schulgebäude in der Lützowstraße auf Anordnung der städtischen Schulbehörde verlassen und wich zuerst in das Schulgebäude Löwengasse/Weberstraße aus. Ein Jahr später, ab dem 1. Oktober 1939, mussten alle jüdischen Schüler Kölns zusammen im Schulgebäude in der St.-Apern-Straße unterrichtet werden. Am 30. Juni 1942 wurden alle jüdischen Schulen in Deutschland geschlossen.

Die Schule an der Lützowstraße wurde im Zweiten Weltkrieg zur Hälfte zerstört und ab 1950 wiederaufgebaut. In den 1950er Jahren zog eine Höhere Handelsschule in das Gebäude ein. Heute befindet sich darin ein Berufskolleg.

Das Schulgebäude von der Lützowstraße aus gesehen, 2007 (Foto: Ursula Konopka)

Letzte Lebenszeichen

Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs war die Flucht aus NS-Deutschland fast unmöglich geworden. Unter schwierigsten Bedingungen wurde der Schulbetrieb für jüdische Schülerinnen und Schüler noch zweieinhalb Jahre aufrecht erhalten. Über diese Zeit der jüdischen Volksschule, nun im Gebäude der Jawne, ist nur wenig bekannt.

Hannelore J., Tochter eines jüdischen Vaters und einer nichtjüdischen Mutter, wurde Ostern 1940 eingeschult. Vor den Osterferien 1942 erklärte Direktor Erich Klibansky, inzwischen für alle jüdischen SchülerInnen in Köln verantwortlich, ihren Eltern, dass sie das Kind nach den Ferien nicht mehr zur Schule schicken sollten. Hannelore und ihre Eltern überlebten im Versteck. Die meisten ihrer MitschülerInnen und die in Köln gebliebenen Lehrer und Lehrerinnen wurden deportiert und ermordet.

Die Eltern von Heinz Grünebaum, Leopold und Thekla, und seine 1929 geborene Schwester Inge, die auch die Lützowstraße besucht hatte, wurden im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und von dort 1944 weiter nach Auschwitz. Das letzte Lebenszeichen war ein Rot-Kreuz-Brief aus Theresienstadt.

Die siebte und achte Schulklasse der Volksschule im März 1940 

Inge Grünebaum, * 27. 03. 1929;
Leopold Grünebaum, * 5. 05.1885;
Thekla Grünebaum geb. Plaut, * 19. 11. 1899

Das Foto machte Dennis Pelmore, englischer Hostelvater von Heinz Grünebaum, der 1939 für kurze Zeit in Köln war.

Das Lehrerkollegium

Mehr als 20 Lehrer und Lehrerinnen unterrichteten an der Volksschule Lützowstraße zwischen 1922 und 1938. Sie waren nach modernen Grundsätzen ausgebildet worden und unterrichteten gemäß staatlichen Lehrplänen. Sie hatten zwar alle ihre Spezialgebiete, jedoch mussten sie als Volksschullehrer prinzipiell alles unterrichten können, sogar Fremdsprachen.

Emil Kahn war ab 1926 Rektor der Schule Lützowstraße, Paula Loeb Konrektorin. Die Lehrer waren in vielen Bereichen sehr engagiert. Dr. Siegfried Braun schrieb zum Beispiel für die „Jüdische Schulzei- tung“, Cilly Marx erstellte eine eigene Fibel für jüdische Volksschulen und Leo Grünebaum II leitete das Jüdische Lehrhaus, eine Art Volkshochschule.

Mehrere Lehrer der Schule Lützowstraße wurden in der Pogromnacht 1938 in Konzentrationslager verschleppt. Ab 1941 wurden diejenigen, die nicht mehr hatten emigrieren können, deportiert, so auch Leopold Grünebaum (Vater von Henry Gruen), Max Hirschfeld, Eugen Jacobi und Meta Freyer (LehrerInnen von Monique Joseph). Nur wenige konnten fliehen. Dr. Siegfried Braun emigrierte mit der Familie nach Palästina, Cilly Marx wanderte 1939 nach Großbritannien aus und Leo Grünebaum II floh in die USA.

Monique Joseph – Helga Irene Kaufmann

Helga Kaufmann (rechts) und ihre Kusine Ruth, 1926

Ihre frühe, sehr behütete Kindheit verbrachte Helga Kaufmann in der Kölner Paulistraße 42. Der Vater Sally hatte eine Jutefabrik, es gab ein Auto, eine Kinderfrau für Helga, die einzige Tochter, und eine Köchin. 1930 kam Helga auf die Schule Lützowstraße, zunächst in die Mädchenklasse von Meta Freyer, dann in die gemischte Klasse von Max Hirschfeld, wo sie ihre Kinderliebe Walter Braun traf.

Der Vater musste schon im April 1933 nach Frankreich fliehen. In den Osterferien 1934 fuhr Helga zu ihm nach Straßburg. Nachdem sie noch einmal für einige Monate nach Köln zurückgekehrt war, folgte sie ihren Eltern, die inzwischen in Tours wohnten. 1938 besuchte sie ein letztes Mal die Großeltern in Köln.

Nach Kriegsbeginn verschlechterte sich die Situation der Kaufmanns. Sie flüchteten in den noch unbesetzten Süden Frankreichs, dessen Regierung mit den Nazis kollaborierte. Ende 1943 wurden Helga und ihre Mutter im Camp de Nexon inhaftiert. Vor der drohenden Deportation konnten sie sich mit Glück und Mut retten und in einem Dorf unter falschem Namen untertauchen. Seitdem hieß Helga Kaufmann Monique Colin. Im Herbst 1944 wurden die „Colins“ von der 7. US-Armee befreit. Einige Jahre später wanderte Monique mit ihrem Mann Theo Joseph in die USA aus.

Kinderausweis, ausgestellt 1935 in Köln, mit französischen Visa- und Einreisestempeln

Das sechste Schuljahr mit den Lehrerinnen Hulda Dahl (links) und Berta Löb (rechts), 1936. Erste Reihe (8. von links): Helga Kaufmann

Amalie (Malchen) Banner

Der Umschlag zu Malchens letztem Brief aus dem Warschauer Ghetto. (aus Dieter Corbach, Köln und Warschau sind zwei Welten. Amalie Banner – Leiden unter dem NS-Terror, Köln 1993)
Amalie und Selma Banner in Purim-Verkleidung, Ende der 1920er Jahre
Das letzte bekannte Bild zeigt Malchen Banner im Kölner Israelitischen Asyl im Sommer 1938

Amalie Banner wurde am 25. Februar 1923 in Köln geboren; ein Jahr später kam ihre Schwester Selma zur Welt. Die Eltern Simon und Hene Beile Banner, geb. Alter, stammten aus Kolokolin / Ukraine und Alt-Dzikow / Galizien. Die Mutter kam 1928 in eine Nervenheilanstalt. Der Vater, nun allein für die beiden Töchter verantwortlich, brachte sie im Abraham-Frank-Haus in Köln-Braunsfeld unter, da er als Händler über Land zog. An den Wochenenden holte er sie zu sich nach Hause.

1934 musste Malchen der rechte Unterschenkel amputiert werden. Ihre MitschülerInnen aus der Lützowstraße versuchten, das musisch begabte Mädchen wieder aufzumuntern. Nach dem Schulabschluss 1938 besuchte Selma Banner eine Haushaltungsschule und Malchen machte eine Schneiderlehre.

In der sogenannten „Polen-Aktion“ der nationalsozialistischen Machthaber im Oktober 1938 wurde auch Simon Banner mit beiden Töchtern aus Köln nach Polen abgeschoben. Nach dem deutschen Einmarsch in Polen kamen sie in Warschau in einer Kellerwohnung unter.

Malchen und ihr Vater haben von Juli bis November 1941 Briefe an Freundinnen und Freunde geschrieben. Malchens letzter Brief, an ihre frühere Tanzlehrerin Susanne Levinger, trägt das Datum des 28. November 1941. Danach gibt es keine Nachricht mehr von ihr.

Schulklasse mit Lehrerin Regina Frenkel, um 1937. Dritte Reihe: 2. Selma Banner, 3. Amalie Banner

Henry Gruen – Heinz Grünebaum

Heinz Grünebaum (Mitte) und Walter Braun (rechts) mit Nachbarskindern in Köln, um 1928 (Foto: Henry Gruen)

Heinz Grünebaum wurde als Sohn von Leopold und Thekla Grünebaum am 30.5.1923 in Köln geboren. Heinz und seine Schwester Inge wuchsen in einem politisch und religiös liberalen Haushalt auf. Leopold Grünebaum, um 1912 nach Köln gekommen, war Lehrer an der Städtischen Israelitischen Volksschule. Von 1915 bis 1918 kämpften er und vier seiner fünf Brüder für das Deutsche Reich an der Front.

Heinz wurde 1929 in die Volksschule Lützowstraße eingeschult. 1933 wechselte er auf die Jawne, das jüdische Gymnasium. Nachdem die Wohnung der Familie während des Pogroms 1938 zerstört worden war, wohnte Heinz bei den Brauns. Im Januar 1939 verließ Heinz zusammen mit Walter Braun Köln mit einem Kindertransport. Heinz sah seine Eltern und seine Schwester zum letzten Mal.

1941 begann Heinz in England eine Arbeit in einem Farbstofflabor und machte 1944 an der Abendschule Abitur. 1947 emigrierte er in die USA, wo er seinen Namen in Henry Gruen änderte. 1957 schloss er sein Chemiestudium an der Universität von Illinois mit dem Masters Degree ab. Neben dem Beruf spielten Musik und Literatur eine große Rolle in seinem Leben.

Henry Gruen entschloss sich 1971, nach Deutschland zurückzukehren.

Passfoto auf dem 1940 in Großbritannien ausgestellten Ausweis. (Dokument: Henry Gruen)
Erstes Schuljahr, 1929. Henry Gruen hat sich in der letzten Reihe als 2. Junge von links wiedererkannt.

Ein Weg zurück nach Deutschland

Henry Gruen am Arbeitsplatz im Max-Planck-Institut, ca. 1975 (Foto: Henry Gruen)

Heinz Grünebaum lebte seit 1947 in den USA. Mit Erhalt der amerikanischen Staatsangehörig-keit änderte er seinen Namen in Henry Gruen. Im Jahr 1959 reiste er zum ersten Mal wieder nach Köln. „Ein schwieriger Besuch, der etwas Traumhaftes an sich hatte“, sagte er 1996 in einem Interview. Er konnte aber nicht nach Köln-Ehrenfeld, dem letzten gemeinsamen Wohnsitz mit seiner Familie vor der Ausreise nach England, gehen. Er hatte Angst davor. Erst 1966, als er das zweite Mal in Köln war, besuchte er auch Ehrenfeld.

Henry Gruen mit Else Braun in Ma’ayan Zwi (Israel) , 1970er Jahre

Was hat Henry Gruen dazu bewogen, nach Köln zurückzukehren?

Er sagte dazu: „Ich wollte Köln wieder in meinen Bezugsbereich bringen, ich wollte eine inhaltliche Beziehung mit Köln wieder herstellen.“

Das Max-Planck-Institut für Strahlenchemie in Mülheim an der Ruhr bot Henry Gruen 1971 eine Anstellung an. Dies war der Auslöser für Überlegungen einer Übersiedlung in die BRD. „Das war eine offene Situation für mich. Ich habe gesagt: Ich probier das.“ Ob er zurecht kommen würde und ob dieses „Abenteuer“ gelingen würde, wusste er nicht. Die Tatsache, dass er einige deutsche Freunde in der BRD hatte, Menschen, mit denen er sich in Amerika angefreundet hatte, ließ ihn den Schritt zur Übersiedlung wagen.

Auf dem Schulhof seiner alten Volksschule, Dezember 2007 (Foto: Ursula Konopka)

Henry Gruen war der einzige von den hier im Kontext der Schule Lützowstraße genannten EmigrantInnen, der zurückkam.

Walter Braun

Walter Braun wurde 1925 in Köln geboren. Mit sechs Jahren wurde er in der Schule Lützowstraße eingeschult. Nach der Machtübertragung an die Nazis 1933 konnte Walter nicht auf ein staatliches, sondern nur auf das jüdische Gymnasium „Jawne“ wechseln.

In der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 wurden Walters Vater und sein Bruder Gerhard verhaftet und nach Dachau deportiert. Sie entkamen nur durch Glück und die Familie verließ Köln sofort. Walters Bruder wanderte nach Kenia aus, die Eltern nach Palästina.

Walter und Karin Braun mit ihren drei Söhnen, 1950er Jahre. (Foto: Walter Braun)

Walter flüchtete mit einem Kindertransport – zusammen mit seinem Freund Heinz – im Januar 1939 nach England. 1946 versuchte er mit einem illegalen Einwanderungsschiff nach Palästina zu kommen. Doch dies scheiterte und Walter wurde in ein Internierungslager für illegale Einwanderer nach Zypern geschickt. Erst Monate später kam er nach Palästina. Dort ging er in den Kibbuz Maayan Zvi und arbeitete in der Landwirtschaft und als Hebräischlehrer.

1958 lernte er seine Frau Karin kennen, sie heirateten und bekamen drei Söhne. Heute leben Walter und Karin immer noch in Maayan Zvi.

Walter Braun in den 1950er Jahren (Foto: Walter Braun)

Dr. Siegfried Braun – Walters Vater und Lehrer an der Lützowstraße

1916 war Siegfried Braun Lehrer an einer jüdischen Schule in Werl.
Siegfried Braun mit seinem Sohn Walter und einer Nichte, um 1930 (Foto: Walter Braun)

Dr. Siegfried Braun wurde 1885 in Brauneberg an der Mosel geboren. Seine berufliche Karriere begann er als junger Lehrer an einer jüdischen Schule in Werl. Dort verliebte er sich in seine Schülerin Elisabeth Mond. 1923 zogen die beiden zusammen nach Köln, hier kam ihr erster gemeinsamer Sohn Gerhard zur Welt. 1925 wurde Walter geboren.

Siegfried Braun wurde Lehrer an der jüdischen Volksschule Lützowstraße. Als Lehrer war er besonders beliebt, da er keine Ohrfeigen verteilte. Zudem schrieb Siegfried für verschiedene Zeitungen, unter anderem für die „Jüdische Schulzeitung“.

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme im Jahr 1933 wurde das Leben auch für jüdische Lehrer und Schüler in Deutschland immer schwieriger. In der Reichspogromnacht am 9./10 November 1938 wurde Siegfried von der Gestapo verhaftet. Nach drei Wochen im Konzentrationslager Dachau konnte er nur durch einen glücklichen Zufall entkommen. Siegfried wollte Deutschland nun mit seiner Familie so schnell wie möglich verlassen.

Er floh nach Palästina, seine Frau folgte ihm wenig später. Walter konnte erst 1946 aus England nach Palästina einwandern. Siegfried unterrichtete dort in dem Kibbuz Maayan Zvi Hebräisch. 1969 starb er im Alter von 84 Jahren.

Dr. Siegfried Braun (rechts) und Rabbiner Dr. Isidor Caro (links) mit einer Schulklasse auf dem Schulhof, Ostern 1938

Die Jugend-Alijah

Esther Giladi (2. von rechts) und ihre Familie im Kölner Stadtwald am Tag vor der Abreise nach Palästina (Foto: Esther Giladi)
Yehuda Levi (oben links) und seine Familie am Tag vor der Abreise in Köln (Foto: Yehuda Levi)

Die Jugend-Alijah, die Auswanderung von Kindern und Jugendlichen nach Palästina, wurde von Recha Freier ins Leben gerufen. Sie erkannte 1932, dass die jüdischen Jugendlichen in Deutschland für ihre Zukunft keine Perspektive hatten und vermehrt unter Antisemitismus und Diskriminierung zu leiden hatten. Am 30. Januar 1933 gründete sie das „Hilfskomitee für die Jüdische Jugend“, das für die Organisation von Deutschland aus zuständig war. Henrietta Szold wurde, nachdem sie zuerst Bedenken wegen der Auswanderung von Kindern ohne ihre Eltern hatte, Ende 1933 Leiterin des Büros für Jugend-Alijah in Palästina und organisierte damit vor Ort die Einwanderung.

Yehuda (Bernhard) Levi, Esther Giladi (Margot Levi) und Jehudith Zeiri (Trude Meyer), die die Schule in der Lützowstraße besuchten, gelangten mit Hilfe der Jugend-Alijah nach Palästina. Während Jehudith Zeiri schon 1936 auswanderte, verließen Esther Giladi im März 1938 und Yehuda Levi im März 1939 Deutschland.

Kindertransporte

Jüdische Kinder aus dem ersten Kindertransport erreichen den Hafen von Harwich (Foto: USHMM, courtesy of National Archives)

Heinz Grünebaum und Walter Braun gehörten zu den fast 10.000 meist jüdischen Kindern, die zwischen 1938 und dem Kriegsausbruch am 1. September 1939 mit einem so genannten Kindertransport nach Großbritannien flüchten konnten. Die Rettungsaktionen wurden durch er- leichterte Einreisebestimmungen seitens der Britischen Regierung und durch das Engagement britischer Hilfsorganisationen ermöglicht.

In Köln verfolgte der Direktor des jüdischen Gymnasiums Jawne, Dr. Erich Klibansky, einen eigenen Plan zur Evakuierung seiner gesamten Schule, der nicht vollständig umgesetzt werden konnte. Schülerinnen und Schüler der Jawne, von denen viele ihre Grundschulzeit in der Lützowstraße verbracht hatten, und andere Kinder aus Köln und Umgebung fuhren in größeren Gruppen in vorbereitete Hostels. Auf dem Weg wurden sie von Lehrern und Lehrerinnen der Jawne begleitet.

Erich Klibansky wollte Köln nicht vor Abschluss der Rettungsaktion verlassen; er konnte sich und seine Familie nicht mehr retten.

Schüler des Hostels „Minster Road“, London, im Sommer 1939

Ein Klassenfoto

Samuel (Sally) Brückner, ein früherer Schüler der Lützow­straße, hat bei einem Besuch in Köln dieses ca. 1934 ent­standene Foto mit den Namen all derjenigen Mitschüler beschriftet, an die er sich erinnerte. Samuels Lehrer waren Leopold Grünebaum, der Vater von Henry Gruen, der auf dem Foto zu sehen ist, und Siegfried Braun, Walters Vater. Von einigen Klassenkameraden Sally Brückners ließen sich biographische Daten finden.

Erste Reihe von links:

1. Hermann Engländer, möglicherweise später Abraham Englaender, geb. am 7.4.1925, schloss die Volksschule, nun in der Löwengasse, 1939 ab // 4. Moritz, vermutlich Siegmund Moritz, geb. am 4.4.1925, besuchte ebenfalls bis 1939 die Volksschule Lützowstraße // 7. Hermann Cohn, Schicksal unbekannt // 8. Hermann Neuss, Schicksal unbekannt // 9. Baer, vermutlich Hermann Herbert Baer, geb. am 17.1.1924, besuchte nach der Volksschule Lützowstraße das jüdische Gymnasium Jawne. 1938 Emigration in die Niederlande, 1939 Weiterflucht nach Bornemouth/Großbritannien und 1940 nach Australien. Hermann Herbert Baer diente von 1942 bis 1945 in der Australischen Armee und lebte anschließend in Melbourne, wo er als Börsenmakler tätig war // 13. Kurt Marx, geb. am 31.8.1925, besuchte ab 1934 die Volksschule Lützowstraße und wechselte später auf die Jawne. Die Familie wohnte in Köln in der Peterstraße 75. 1939 kam Kurt Marx mit einem von Jawne­-Direktor Klibansky organisierten Kindertransport nach England. Nach dem Kriegsende lebte er in Edgware, Middlesex und arbeitete im Diamantengewerbe.

Dritte Reihe von links:

5. Breuer, vermutlich Kurt Breuer, geb. am 22.12.1925, wohnte mit seinen Eltern und den Geschwistern Rolf
und Ruth am Ubierring 16. Kurt Breuer wurde deportiert und ermordet // 6. Samuel (Sally) Brückner, geb. am 24.4.1925, wohnte mit seinen Eltern und den Geschwistern Erna, Adolf und Jehudith in der Alexianerstraße 44. 1937 bescheinigte Schularzt Julius Ochs, dass Samuel auf Grund einer Erkrankung nicht in der Lage sei, die Reise nach Palästina anzutreten. Sally Brückner überlebte die Konzentrationslager Mielic in Polen, wo er von 1939 bis 1944 inhaftiert war, Flossenbürg und Hersbruck, ein Außenlager von Flossenbürg. Samuels Schwester Jehudith emigrierte nach Palästina // 11. Helmuth Mayer, Schicksal unbekannt // 12. Hermann Löb, Schicksal unbekannt // 14. Walter Stein, geb. am 11.5.1925, besuchte von 1931 bis 1933 die Knabenschule Köln­-Klettenberg, bevor er zur Lützowstraße wechselte. Walter Stein konnte sich vermutlich durch Emigration retten.

Zweite Reihe von links:

4. Siegbert Prawer, geb. am 15.02.1925 in Köln, emigrierte mit den Eltern und der Schwester Ruth 1939 nach Groß­ britannien, wo er weiterhin die Schule besuchte. 1964 wurde Siegbert Prawer Professor für deutsche Sprache und Literatur in London; von 1969 bis zu seiner Emeritierung lehrte er an der Universität von Oxford. Seine Schwester Ruth Prawer Jhabvala ist eine bekannte Schriftstellerin und Filmautorin // 5. Aron Rebhahn, Schicksal unbekannt // 8. Nathan Mantel, späterer Name: Nathan Adari, geb. am 13.3.1924, wohnte mit seiner Familie in der Kaigasse. 1939 emigrierte er nach Palästina und lebte nach dem Zweiten Weltkrieg in Hallandale, Florida, wo er als Bankbeamter arbeitete.

Letzte Reihe von links:

1. Lehrer Leopold Grünebaum // 2. David (Dudi) Rosenbaum, geb. am 1.4.1925, Eltern: Wolf und Berta Rosenbaum, geb. Alster; Geschwister Josef und Samuel. David Rosenbaum starb im Holocaust. Aus den Quellen sind zwei mögliche Schicksale herauszulesen: Ein Dawid Rozenbaum wurde 1938 mit den Eltern und Geschwistern aus Köln nach Polen abgeschoben und später über die Lager Litzmannstadt und Theresienstadt in ein Vernichtungslager deportiert. Nach einer anderen Quelle wurde David Rosenbaum mit seinen Brüdern aus einem Kinderheim in Arnheim/NL nach Theresienstadt deportiert // 7. Walter Alster, geb. am 9.9.1925, wohnte mit den Eltern und den Geschwistern Joachim, David, Joseph und Isi zeitweise in der Trierer Straße 11. Am 15. November 1938 flüchtete Walter Alster in die Niederlande und im Februar 1940 weiter in die USA, wo er später als Juwelier und Uhrmacher arbeitete.

Dies ist die Online-Version der Ausstellung Die Brauns und die Grünebaums. Im Original handelt es sich um 10 bedruckte PVC-Ausstellungsbanner à 60 X 100 cm, ein Banner 150 X 120 cm und zwei Fensterrahmen, jeweils etwa 100 X 100 cm. Eine Ausleihe der Ausstellung ist möglich und erwünscht! Zu der Ausstellung ist auch eine Begleitbroschüre erschienen, die sich kostenlos (Spende willkommen!) bei uns bestellen lässt.

Mit dem Ausstellungsprojekt wird an die Geschichte der „Städtischen Israelitischen Volksschule zu Köln“ in der Lützowstraße erinnert.

Die Projektgruppe dankt Henry Gruen, Walter Braun, Monique Joseph, Hannelore Göttling-Jakoby und anderen ehemaligen Schülerinnen und Schülern dieser Schule für ihre Unterstützung und für ihre Bereitschaft, ihre Lebensgeschichten zu erzählen.

Die Ausstellung entstand im Rahmen eines Projektseminars des Instituts für Jüdische Studien und des Historischen Seminars der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Wintersemester 2007 / 2008.
Sie wurde erarbeitet von Christian Fuest, Ursula Konopka, Nicola Kramp, Fabian Pickelmann, Christine Pilger, Eric Vedder, Susanne Steinküller und Melanie Walfort.

Seminarleitung Dr. Ursula Reuter und Dr. Cordula Lissner
Alle Fotos und Dokumente NS-DOK Köln, Sammlung Corbach (sofern nicht anders angegeben)
Übersetzung Claire Merkord und Elisabeth Heesom
Gestaltung DruckBetrieb

Gestaltung für Web Simon Brinkmann

Unterstützt von
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Schulmuseum Bergisch Gladbach
DruckBetrieb Köln
Lern- und Gedenkort Jawne